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Salon im ehemalige Damenheim

Mai 2019 - Mai 2020

Struckmannstraße 17, Hildesheim

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Johanne betätigt den Türöffner im Flur und öffnet die Wohnungstür. Sie stellt sich in die Tür und wartet. Unten geht das Licht an.

Früher hat Johanne in einer Wohnung im Hinterhaus im fünften Stock gewohnt. Bis ihr Besuch über die Schwelle ihrer Wohnung getreten ist, hat es mehrere Minuten gedauert. Die Schritte der meisten Besucher*innen verlangsamten dabei auf dem Weg und bei der Begrüßung spürte sie ihr kräftiges Ausatmen im Haar.

Johannes Haar endet zwischen Ohren und Schultern, in einem Dazwischen, das bald geschnitten werden müsste. Sie fährt sich beim Warten ein, zwei Mal durchs Haar. Sie lächelt zur Begrüßung. „Du musst die Schuhe nicht ausziehen.“ sagt sie und bittet herein. „Du darfst drinnen rauchen.“, sagt sie dann.

Neben Johanne wird lautstark diskutiert. Sie stellt das Glas auf dem Tisch ab und lehnt sich einen Moment auf dem Stuhl zurück. Seit acht Sommern blickt sie schon durch die drei mal drei Fenster in den Garten. Das Foto von Elli, das neben dem Fenster hängt, hat sie vor zwei Jahren aufgenommen: Elli im Schatten des Blutpflaumenbaumes. Sie mimt die Schriftstellerin, die sie heute ist.

Die Held*innen, die im Zentrum ihrer Geschichten stehen, bedürfen keiner heroischer Eigenschaften. Es gefällt Johanne, wie Elli sich für ihre Figuren interessiert: für deren Weisen, in der Welt ihre ganz eigenen Geschichten zu beginnen. Jedes Mal denkt Johanne, diese Held*innen würde sie gern einmal treffen, bei sich zu Gast haben.

Vor dem Fenster wird es dunkel, das Zimmer spiegelt sich bereits auf den Scheiben. Johanne freut sich auf den Sommer mit seinen langen Abenden, die man im Garten verbringen kann. Jemand berührt sie an der Schulter.

Mit einem Mal ist es still um Johanne. Die Stimmen der Nachbar*innen, die in der Stube weiter plaudern, dringen durch die Wand als verfremdetes Geräusch zu ihr. Johanne rafft den Rock und setzt sich, die Keramik ist sauber, glatt und kühl. Zufrieden hört sie, dass sie aus dem Spülkasten nichts mehr hört, das Ding ist frisch repariert schweigsam. Wenn Elli gekommen wäre, das hätte Johanne gefallen. Einige der Damen höheren Alters wären in helle Aufregung geraten über Ellis neue Erscheinung, den Pagenschnitt, die mondäne Brille und das Notizbüchlein, das sie in der Hand trägt, um jederzeit etwas zu notieren.

Aber auch ohne Elli ist es ein schöner Abend. Den nächsten, im Juni, wollen sie in den Garten verlegen, Paula wird ein Feuer anzünden, sobald es dunkel wird, und davor möchte Johanne eine Fotografie von ihnen allen machen.

Johanne hört die Frauen lachen, am lautesten lacht Paula. Durch die Wand ist zu hören, wie sie zu einer neuen Anekdote ansetzt, derer sie viele zu erzählen hat.

Johanne zieht den Spülzug und steht auf. Die Pflanze auf dem Fensterbrett lässt die Spitzen hängen. Später wird sie sie gießen, wenn die anderen sich verabschieden und durchs Treppenhaus nach Hause steigen, einige hinauf, andere hinab. 

Text: Leona Koldehoff / Mirjam Wittig

 

Fotos: Georg Kronenberger

 

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